Die wichtigsten Strategien ("Denkzeuge") zum Herausarbeiten und Lösen 
erfinderischer Aufgaben

 

1. Das Konzept der Idealität

Zunächst sollten wir definieren, was wir ohne Rücksicht auf das bisherige System eigentlich wünschen. Also nicht: "Das Waschmittel ist zu verbessern", sondern "Die Wäsche muss sauber werden" (noch besser: "Die Wäsche muss sauber sein"). Das Ideale Endresultat (IER) beschreibt das Gewünschte. So ist eine "Ideale Maschine" dadurch gekennzeichnet, dass sie eigentlich (fast) gar nicht mehr da ist, und dennoch ihre Funktion erfüllt. Nur eine genügend abstrakt formulierte, idealisierte Zielstellung bietet die Gewähr, diesem Ideal wenigstens nahe zu kommen. Erst gegen Ende der Bearbeitung, wenn sich bei Praxisversuchen die erdachte Ideallösung als nicht ganz realisierbar erweist, können vorsichtige Abstriche gemacht werden, bis Praktikabilität erreicht ist. In der systemanalytischen Phase liefert uns das IER unser Wunsch- und Leitbild. Am Ende der systemschaffenden Phase ermöglicht der erreichte Grad der Annäherung an das IER eine beinahe objektive Bewertung des Ergebnisses.

 

2. Die Innovations-Checkliste und die Konfliktanalyse

Die unbedingte Beantwortung einer Reihe von Fragen zum betrachteten System und seinen Mängeln ist methodisch entscheidend: Wozu dient das technische System, was ist das Problem, wie entstand das Problem, was ist in physikalischer Hinsicht nützlich, was schädlich? Wie lautet der physikalische Kern-Sachverhalt? Welche physikalisch bestimmten Bedingungen behindern einander im Sinne eines Konflikts?

 

3. Die Widerspruchsformulierung

Der Widerspruch ist die extreme Form des Konflikts: Ein und dasselbe System soll verschiedene Einstellungen annehmen, etwas soll vorhanden und nicht vorhanden, offen und geschlossen, heiß und kalt zugleich sein. Sinnvoll ist (nach H. Linde/Coburg), die konträren Forderungen als Paradoxon im Sinne einer paradox-konstruktiven Entwicklungsforderung zu formulieren (z.B. "Anwesende Abwesenheit", "Offene Geschlossenheit", "Heiße Kälte"). Bei derartigen Formulierungen handelt es sich ersichtlich nicht um logische, sondern um dialektische Widersprüche. Lassen sich solche Widersprüche nicht formulieren, so haben wir es mit einer konventionellen (z.B. durch Optimieren lösbaren) Aufgabe zu tun. Hingegen signalisiert das Vorhandensein/die Formulierbarkeit einer im oben erläuterten Sinne widersprüchlichen Situation, dass wir mit konventionellen Mitteln nicht weiter kommen und deshalb eine Lösung auf erfinderischem Niveau suchen und finden müssen.

 

4. Die Standards zum Lösen von Erfindungsaufgaben

Die Standards können, wenn die eigentliche Aufgabe richtig bestimmt und das zu verändernde System genauestens analysiert ist, in einem sehr frühen Bearbeitungsstadium erfolgreich eingesetzt werden. Voraussetzung ist, dass eine Standardsituation auch tatsächlich vorliegt (z.B.: "Wenn zwei einander ausschließende Zustände gleichzeitig benötigt werden, dann ..." ; "Wenn ein Objekt sich nur schwierig nachweisen lässt, dann ..." ; "Ist es schwierig, eine Operation an dünnen, weichen, empfindlichen Objekten durchzuführen, dann ..."). Es ist erstaunlich, wie viele der vermeintlich kreativen Aufgaben bei näherem Hinsehen eigentlich Standardaufgaben sind: in anderen Fachgebieten wurden ähnliche Aufgaben längst gelöst, so dass die Übertragung auf das eigene (vermeintlich neue) Problem nicht mehr schwierig ist.

 

5. Der Entwicklungszustand (Reifegrad) eines Systems, Geschichte, technische Trends

Jedes System ist durch die Phasen Entstehung, Wachstum, Reife und Vergreisung gekennzeichnet. Es muss ermittelt werden, auf welcher Entwicklungsstufe sich das zu verändernde System befindet. Zu betrachten ist ferner die Geschichte des Systems (Wie wurde die Aufgabe gestern und vorgestern gelöst, weshalb wurde das System damals verändert?) Technische Trends zeigen, welche Entwicklungsrichtungen heute die technisch fortschrittlichsten Lösungen versprechen. Es gibt regelrechte Gesetze der Entwicklung technischer Systeme, deren Missachtung zu wenig progressiven Lösungen oder gar zu ausgesprochenen Fehlentwicklungen führt.

 

6.  Die Antizipierende Fehlererkennung

Das System wird unter dem Aspekt möglicher Fehler betrachtet. Es ist im Sinne einer worst- case-Betrachtung gründlich zu überlegen, welche Fehler auftreten können, und wie ihnen zu begegnen ist (bzw., besser, wie sie von vorn herein vermieden werden können). Denken Sie auch an Murphys Gesetze: wir haben es dabei nicht etwa nur mit bösen Satiren, sondern eben auch mit bitteren Praxiswahrheiten zu tun (z.B.: "Wenn irgendein Teil einer Vorrichtung überhaupt falsch eingebaut werden kann, so wird sich früher oder später mit Sicherheit auch jemand finden, der genau dies tut")

 

7. Die Stoff-Feld-Betrachtungsweise

Man denke sich jedes beliebige Objekt/System als aus Stoffen und Feldern aufgebaut. Dabei kann der Feldbegriff großzügig verwendet werden (z.B. nicht nur Magnetwirkungen, sondern auch Wärme und Licht werden als Feldwirkungen aufgefasst). Zunächst wird analysiert, welche Stoff-Feld-Wechselwirkungen das vorhandene System charakterisieren (modellhafte Darstellung in Form von Stoffen und Feldern). Daraus ergeben sich u.a. Erkenntnisse zu den Defiziten (z.B. Vorliegen eines unvollständigen Systems, dem eine wichtige Verknüpfung fehlt). Sodann werden, in der systemschaffenden Phase, die Stoff-Feld-Regeln angewandt (z.B. Komplettierung von Systemen; Tendenz: Ersetzen von Stoffen durch Felder; Schneid-vorgänge werden nicht mehr mit dem Messer, sondern mit dem Laser ausgeführt).

 

8. Die Physikalischen Effekte

Effekte (Wirkungen) sind, für sich gesehen, nicht schutzfähig. Jedoch beruhen die meisten guten Erfindungen auf der pfiffigen Nutzung von (insbesondere physikalischen) Effekten, d.h. auf einem Mittel-Zweck-Zusammenhang, der letztlich doch auf einen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zurückzuführen ist. Gute Effekte-Kataloge helfen sehr. Wird z.B. eine Temperaturmessung erforderlich, so kommen aus physikalischer Sicht in Frage: Ausdehnung von Festkörpern und Flüssigkeiten, Widerstandsänderung, Strahlungsänderung, Änderung von Resonanzen und Frequenzen, Veränderung von magnetischen Eigenschaften usw.- Ohne Hilfe des Kataloges hätte der Bearbeiter sehr wahrscheinlich nur an einen kleinen Teil der aufgeführten Möglichkeiten gedacht. Kein Kreativer, auch kein studierter Physiker, hat alle zur Lösung einer bestimmten Aufgabe in Frage kommenden physikalischen Effekte im Kopf. Die wenigen, die er mehr oder minder zufällig parat hat, müssen nicht unbedingt die für eine überzeugende Lösung am besten geeigneten Effekte sein.

 

9. Die Prinzipien zum Lösen Technischer Widersprüche

Altschuller hatte herausgefunden, dass die meisten in der Patentliteratur beschriebenen erfinderischen Lösungen einander im Prinzipiellen recht ähnlich sind. Das heißt: wirklich neue erfinderische Aufgaben, die ein absolut originelles Vorgehen erfordern würden, sind ausgesprochen selten. 95 % aller vermeintlich neuen Aufgaben wurden, wenn auch meist in ganz anderen Branchen, bereits erfolgreich gelöst. Die 40 Prinzipien, ergänzt um die inzwischen sehr umfangreichen Beispielsammlungen, gestatten die Lösung fast aller erfinderischen Aufgaben. Voraussetzung ist, dass die einander behindernden Parameter zuvor klar bestimmt wurden und der eine konventionelle Lösung ausschließende Widerspruch scharf formuliert worden ist. Mit Hilfe einer Matrix werden die für eine bestimmte erfinderische Situation in Frage kommenden Lösungsprinzipien (selten mehr als 3 bis 4) bestimmt. Die kreative Leistung des Erfinders besteht nun in der Auswahl geeigneter Beispiele und der schöpferischen "Übersetzung" zwecks Lösung der eigenen Aufgabe. An dieser Stelle erfolgt gewissermaßen die Verschmelzung von Sachwissen und Phantasie. Völlig phantasielose Menschen werden sagen: "Ein für meine Aufgabe genau zutreffendes Beispiel gibt es nicht". Das ist erst einmal, derart absolut formuliert, richtig. Nur wäre, wenn ein solches Beispiel existierte, die Aufgabe ja keine erfinderische Aufgabe mehr, sondern bereits gelöst und damit nicht mehr schutzfähig. Die meisten Menschen haben jedoch durchaus genügend Phantasie, um die sinngemäße Übertragbarkeit von Lösungen aus anderen Branchen zu erkennen und die Transformation in das eigene Fachgebiet vornehmen zu können. Da die Lösungsprinzipien aus Zehntausenden von Patentschriften "extrahiert" wurden und pro Prinzip mit Dutzenden bis Hunderten von Beispielen belegt sind, können wir regelrecht von einer Verknüpfung des erfinderischen Weltwissens mit der nach wie vor gefragten schöpferischen Phantasie sprechen. Nur wird die Phantasie hier nicht (wie beim Brainstorming) ungezielt und spontan, sondern ganz gezielt, auf ein vorhersehbar lohnendes Objekt gerichtet, eingesetzt.

 

10. Die Separationsprinzipien zum Lösen Physikalischer Widersprüche

Wenn ein bestimmter Zustand und außerdem der entgegengesetzte Zustand zu herrschen hat, so lässt sich diese Situation mit Hilfe der vier Separationsprinzipien erfinderisch klären, und zwar durch Trennung der einander behindernden Teil-Zustände im Raum, in der Zeit, durch Zustandswechsel oder innerhalb eines Objekts und seiner Teile. Beispielsweise muss das Fahrwerk eines Flugzeugs vorhanden sein und darf dennoch andererseits nicht vorhanden sein; die Lösung des Paradoxons ist bekannt, sie lässt sich zwanglos dem entsprechenden Separationsprinzip zuordnen.

 

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